Absinthique
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Freitag, den 2. Oktober 1925 Ambach

Mein lieber Irenäus,

Einige Monate habe ich nun nicht mehr die Ruhe gefunden, dir vom Forschritt meiner Arbeit zu berichten. Die Anwesenheit meines alten Freundes von Freistedt-Klausen erwies sich als überaus fruchtbar. Er hatte, geprägt durch seinen langen Aufenthalt auf dem Schwarzen Kontinent so einiges zu meiner Theorie beizutragen, was mich ehrlich gesagt etwas verwunderte, er ist nicht gerade ein Gelehrter, oder Feingeist. Wir waren dermaßen in unsere Recherchen, insbesondere bezüglich Afrika, vertieft, daß ich alles andere sträflich vernachlässigte.

Fürs erste habe ich jedoch beschlossen mich nicht mehr weiter mit dem im Moment von mir verfolgten Teilaspekt "das Auge als Symbol in den Kulturen der Welt" zu beschäftigen. Insbesondere die Lektüre einigen Materials, daß ich auf früheren Forschungsreisen sammelte, scheint meinen Geist zu sehr überreizt zu haben. Du weißt ja, daß ich im Allgemeinen ein recht robuster Mensch bin und auch nicht gerade leicht zu beeindrucken. Ich hätte nicht gedacht, daß das Material mir so nahe geht. Vielleicht ist es das Alter.

Nun ich habe für alle Fälle beschlossen ein kleine "kreative Pause" einzulegen, habe meinen Schreibtisch freigeräumt und endlich wieder Licht und Luft hereingelassen. Ich bin sicher, daß damit bald die düstere Stimmung und das wiederholte, schlechte Träumen (sicherlich ausgelöst durch einen allzu lebendigen Bericht, den diesem gleichen die Alpträume all zu sehr) verschwunden sein werden.

Vielleicht reicht mir die Zeit Euch in Wien zu besuchen. Pflegt ihr eigentlich nähren Umgang mit dem Herrn Freud? Es wäre sicher interessant einmal mit ihm zu diskutieren, auch wenn ich seine Thesen insgesamt für zu sehr vereinfacht, zu eindimensional halte. Auch würde mir ein Umgebungswechsel sicher sehr gut tun, zumal auch von Freistedt-Klausen sich im Moment recht rar macht und ich in Ambach nur wenig interessante Gesprächspartner finden kann, zumindest was meine Theorien betrifft.

Vielleicht können wir das Gespräch ja bald persönlich fortführen, grüße doch bitte auch Deine so gewitzte und überaus liebreizende Gemahlin von mir.

Wie immer,
der dir sehr verbundene

Nathan Bohelius