Absinthique
zurückblättern weiterblättern

Bericht über eine Séance mit Agaituq

Eines Tages lud mich Agaituq mit einem schelmischen Grinsen ein, am Abend in die Hütte von Naraiquiligook zu kommen. Dessen Frau war schon seit Tagen sehr krank. Agaituq erklärte mir, daß sie Kräuter gesammelt hätte bei den Gräbern der Vorzeit-Leute. Dort sei ihr ein eisiger Wind unter den Parka gefahren und habe sie krank gemacht. Er wolle am Abend versuchen, den Geist, der wohl im Wind gesteckt hatte, herauszulocken oder zu töten. Da ich doch so schrecklich neugierig sei, wolle er mich einladen, doch ich müsse eine Flasche Rum und einen Packen Tabak bringen und mich ruhig und vernünftig verhalten, sonst würden die Geister vielleicht auf mich aufmerksam.

Ich plünderte also unser Vorräte und ging Abends zum Haus.

Ganz Naukan schien sich in dem engen Wohnraum zu drängeln. Ich gab Agaituq die Geschenke und setzte mich an dem Platz, den Narsiquiligooks Schwägerin mir zuwies. Der Ehrenplatz blieb an diesem Abend leer.

Alle schienen voller Spannung. Nur eine Fettlampe brannte neben den geheimnisvollen Ausrüstungsstücken von Agaituq, deren Docht war recht stark gestutzt. Alle Gesichter lagen nahezu im Dunkeln

Dann begann Agaituq. Den Kopf in die Trommel gesteckt, begann er leise zu singen, Es sang langsam und klagend, Er schlug die Trommel an verschiedenen Stellen mit ruhigen Schlagen. Es schien, als rufe er jemanden, sammle seine Helfer und rufe sie von weit her. Manchmal schlägt er die Trommel hart und gibt einige Worte von sich. Dies bedeutete, daß einer seiner Helfer eingetroffen ist. Stück für Stück wird das Lied lauter und die Trommel ertönt öfter, was bedeutet, daß alle Geister den Ruf ihres Meisters gehört haben und herandrängen. Zum Schluß ertönt die Trommel äußerst mächtig und scheint zu zerspringen. Agaituq blickt jetzt nicht mehr in die Trommel und singt so laut er kann. Alle Geister haben sich jetzt versammelt. Ohne sein Lied zu unterbrechen legte Agaituq seine zahlreichen Amulette an. Er steht, leicht vorgebeugt, auf einem Fleck und klopft mit dem Fuß. Die Trommel antwortete auf die Berührung mit dem Schlagholz mit den verschiedensten Klängen, von donnernden Schlägen mit dem scharfen Klang von Eisen bis zu zartem Rascheln, ein beständiges sanftes Summen begleitet von einem leichten Bimmeln. Agaituq benutzte die Trommel auch dazu, die Schallwellen umzuleiten, so daß seine Stimme sich in der Dunkelheit von einer Ecke in die andere und von oben nach unten zu bewegen schien.

Dann gab er die Trommel an seinen Sohn Asimingalik weiter, der einen ruhigen gleichförmigen Takt schlug. Agaituk ging zu der vor Angst ganz starr liegenden Frau, Umigangek. Mit einem Mal kam ein weißes, pelziges Wesen aus seinem Mund und verschwand unter seinem Hemd um kurz darauf aus dem Ärmel der kranken Frau zu springen.

Agaituk begrüßte dieses Wesen mit einem Freudenschrei, später sagte man mir es sei sein Kikituk, sein Freund und Vertrauter.

Dann führte er über der kranken Frau ein wahres Spektakel auf. Einmal schlug er sogar mit einer kleinen Bärenfigur auf sie ein. Die Gesichter der erwachsenen Söhne von Umigangek wurden zunehmend finster.

Dann saugte Agaituk mit einem Knochenrohr an der Leber der Kranken und spuckte nur wenige Momente später eine schwarzen Klumpen aus. Stach ihn mit einer Elfenbeinspitze und warf ihn kreischend durch die Dachöffnug hinaus in die Nacht. Dabei schrie er die Namen seiner Hilfsgeister. Er schrie und zeterte gegen die Dachöffnung. Plötzlich brach er zusammen. Die Lampe ging aus und mit einem mal waren alle still. Nur Asimingalik hielt stoisch weiter den Takt. Aus der Ferne hörte man eine Frauenstimme singen und eine der Frauen neben mir schluchtzte auf und schlug sich die Hände vors Gesicht.

Dann verschwand der Gesang langsam in der Ferne. das Trommeln blieb. Irgendwann hörte man Agaituk der mit ganz normaler Stimme mit der Kranken sprach. Er klang besorgt und sehr zärtlich. Irgendwer entzündete die Lampe wieder. Offensichtlich war der Spuk vorbei, alle begannen zu murmeln und sich zu unterhalten. Man sagte mir, daß die Frauenstimme die der Mutter von Umigangek gewesen sei, die ein Wiegenlied der Familie sang. Das bedeutete, daß Agaituq die Mutter der Kranken aus der Unterwelt zur Hilfe gerufen hätte. Mein erster Blick beim Verlassen des Hauses galt dem Ort, wo der Dorn mit dem Klumpen liegen mußte, aber ich konnte ihn nirgends entdecken.

Ich fragte die kleine Tochter von Narsiquiligook, was sie bei der Heilung ihrer Mutter empfunden und beobachtet hätte, Kinder sind ja bekanntlich sehr viel schwieriger mit Trick zu täuschen. Doch statt in Begeisterung und Freude zu verfallen, wie ihr Vater und die Brüder, muß sie sich zu Tode gefürchtet haben. Sie erzählte mir erst zwei Tage später, in der hellen Mittagssonne am Strand, was sie beobachtet hatte. Sie erinnerte sich hauptsächlich an das Kommen der Hilfsgeister, wie es vom Dach, aus den Wänden und dem Boden zu summen und brummen begonnen hatte, und wie Agaituq schrie "Jetzt kommt Anarsinijoq!" und das ganze Haus zitterte und bebte. Sie sagte mir, sie wollte schreien und weglaufen, doch sie konnte kein Wort sagen und kein Glied bewegen.